Textatelier
BLOG vom: 23.09.2006

Lose Blätter: Adalbert Stifter zum Nachsommer geeignet

Autor: Emil Baschnonga, London
 
Am letzten Samstag schenkte mir John, der so vieles aus meinem Schuppen für die Nachwelt via Flohmarkt gerettet hat (siehe Blog vom 16.09.06: Der Hamster im Gartenschuppen), 2 von 3 Bänden der „Ausgewählten Werke“ von Adalbert Stifter (im C. F. Amelangs-Verlag, Leipzig, 1898 erschienen).
 
Damit hat er mir eine riesige Freude bereitet. Ich habe herzlich wenig von Adalbert Stifter gelesen und erinnere mich bloss vage an seine Werke „Bunte Steine“ und „Der Nachsommer“. Ich schlug nach, um etwas über sein Leben und Schaffen zu erfahren.
 
Adalbert Stifter wurde 1805 in Oberplan (Böhmerwald) als Sohn eines Leinenwebers geboren. Nach dem frühen Unfalltod seines Vaters wuchs er bei seiner Mutter auf dem Bauernhof seines Grossvaters auf, besuchte die Lateinschule im Stift Kremsmünster, gefolgt vom Jurisprudenzstudium.
 
Zuerst verdiente er seinen mageren Unterhalt als Hauslehrer, ehe ihm 1842 der literarische Durchbruch mit „Abdias“ gelang und er zu Wohlstand kam. Er machte wohl wett, was er früher entbehrt hatte und wurde zum masslosen Trinker. Er zog sich dabei Leberleiden zu, das sich nach und nach verschlimmerte. Im Januar 1868 wählte er, schwer erkrankt, den Freitod.
 
Im Vorwort zum Werk „Bunte Steine“ bekannte Stifter, dass er das „sanfte Gesetz“ bevorzuge und nicht das Sensationelle: langsames Wachsen und stetiges Werden erhält die Natur und die Menschen.
 
Friedrich Nietzsche, Karl Kraus, Thomas Mann, Theodor Storm, Theodor Fontane und Hermann Hesse schätzten sein Werk.
 
Auf Anhieb gewann ich ihn lieb, kaum hatte ich seine Vorrede zur 1. Ausgabe der ausgewählten Werke, Band 1, aufgeschlagen, woraus ich kurz zitiere: „In beifolgenden Versuchen wird dem Publikum eine Sammlung loser Blätter vorgelegt, die sich zu verschiedenen Zeiten von meinem Schreibtische verloren hatten. Es lag eigentlich nie in meiner Absicht, als Schriftsteller aufzutreten, sondern wie die meisten Menschen eine Lieblingsspielerei haben, der sie sich zur Erheiterung hingeben, so liebte ich es, an gegönnten Stunden mich in Bildern und Vorstellungen zu ergehen …
 
Das ist ganz nach meinem Geschmack! Heute hätte er gewiss viele Blogs geschrieben, denn in seinen Erzählungen sind die Episoden zu einer bunten Kette gereiht, die auch als eigenständige Kurztexte gelten können.
 
Ich messe dem Zufall Bedeutung zu, so auch gestern als mir Lily berichtete, wie die Nachbarskatze (vermutlich ein Kater) auf dem Zaun döste, als Lily den Abstellraum betrat. Lily krault ihn besser als ich. „Caty“, wie wir ihn nennen, erwachte und sprang sofort vom Zaun auf den Fenstersims über. Er wollte von ihr karessiert werden. Leider stiess er dabei gegen die Fensterscheibe. Mit sich und der Welt verärgert sprang er davon und ging stattdessen wohl auf die Mäusejagd.
 
Das geschah, kaum hatte ich in Stifters „Der Condor“ (1840 verfasst), die 1. Abschnitte seiner Geschichte „Ein Nachstück“ gelesen. Eine Stelle daraus (gleich am Anfang, muss ich zitieren, einfach der Katze namens Hinze wegen): Um zwei Uhr einer schönen Junimondnacht ging ein Kater längs des Dachfirstes und schaute in den Mond. Das eine seiner Augen, vom Strahl des Nachtgestirns schräg getroffen, erglänzte wie ein grüner Irrwisch, das andere war schwarz, wie Küchenpech, und so glotzte er zuletzt, am Ende der Dachkante ankommend, bei einem Fenster hinein – und ich heraus.“
 
Höchst ergötzlich nimmt die Geschichte ihren Lauf und deckt auf, wie meisterhaft Stifter seine Sprache beherrscht. Jetzt, wo sich der Nachsommer in mehr als einer Beziehung anbahnt, freue ich mich, mit Stifters Gedankenwelt vertraut zu werden.
 
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